Horrorfilm „The Ugly Stepsister“: Wie Frauen anderen Frauen Leid antun

Das Aschenputtel-Märchen als grotesker Body-Horror-Film: Dieser Film ist rabenschwarz, knallhart und teilt mit grober Kelle aus. Am 5. Juni kommt er regulär in die Kinos. Die Kritik.
Warum erkranken Frauen sieben Mal häufiger an Magersucht als Männer? Warum ist der Druck auf Frauen so groß, schlank zu sein? Warum stellen sich gerade junge Frauen in sozialen Medien mit „Beauty Filtern“, stark geschminkt und in aufreizend gemeinten Posen dar? Und wer profitiert eigentlich von Schönheitsidealen und weiblichem Konkurrenzdruck? Diesen Fragen geht die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt in ihrem Spielfilmdebüt „The Ugly Stepsister“ („Den stygge stesøsteren“) anhand der Aschenputtel-Geschichte nach. Ja, der ganze Film spielt in einem märchenhaften Mittelalter, das mehr als einmal an den tschechischen Weihnachtsklassiker „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ denken lässt. Nur, dass wir es hier mit einem teilweise recht ungemütlichen Film aus dem Subgenre „Body Horror“ zu tun haben.
„Wer schön sein will, muss leiden“Hauptfigur ist die junge Elvira (Lea Myren). Zusammen mit ihrer Schwester Alma und ihrer Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) kommt sie an den Hof eines alten Mannes, den Rebekka aus finanziellen Gründen geheiratet hat. Otto stirbt plötzlich bei einem festlichen Abendessen, hinterlässt aber keine Reichtümer sondern Schulden. Nun ruhen Rebekkas Hoffnung auf Elvira, ihrer ältesten Tochter. Denn Prinz Julian gibt einen Ball und will dort die Schönste zur Braut wählen. Da es an Elviras Schönheit aus Sicht der Mutter durchaus das eine oder andere zu verbessern gibt, wird die junge Frau einigen brutalen Operationen beim ambitionierten Dr. Esthétique unterworfen und schluckt schließlich auch einen Bandwurm, um essen zu können und trotzdem abzunehmen. Außerdem unterzieht sie sich dem harten Drill einer Tanzlehrerin. Die leibliche Tochter des verstorbenen Otto, Elviras Stiefschwester Agnes, stellt dabei eine bedrohliche Konkurrenz dar.Wer „The Substance“, „The Neon Demon“ oder „Black Swan“ gesehen hat, wird den Film thematisch nicht allzu originell finden. Früh erfahren wir mal wieder: „Wer schön sein will, muss leiden.“ Und erleben Frauen, die sich eigentlich gegenseitig unterstützen könnten, in destruktiven Konkurrenzspiralen. Was „The Ugly Stepsister“ aber besonders macht, ist zum Einen das gut eingefangene märchenhafte Setting, zum Anderen die interessante Perspektive, die der Film auf die bekannte Aschenputtel-Märchen wirft. Hier bekommen wir die Geschichte einmal nicht aus Sicht der Siegerin erzählt. Auch schafft der Film es sehr gut, die Balance zwischen groteskem Humor, fiesen Ekelmomenten und traurig stimmendem Drama zu halten. Die Effekte sind dabei nicht allzu zahlreich, aber sehr wirkungsvoll, und die Inszenierung insgesamt für ein Debüt erstaunlich sicher. Inspiriert worden sein dürfte Blickfeldt von so unterschiedlichen Regisseuren wie Juraj Herz („Die Schöne und das Ungeheuer“) und Catherine Breillat („Fat Girl“).
Gerade Hauptdarstellerin Lea Myren kann ihrer Rolle etliche Facetten abgewinnen, die von komisch bis tragisch reichen und dafür sorgen, dass trotz des klar satirischen Ansatzes des Films die Empathie nicht auf der Strecke bleibt.
Filmkritikerin Sheila O’Malley schreibt auf Roger Ebert: „Es ist in jeder Gesellschaft hart, eine Frau zu sein, wenn es eine Cinderella gibt, mit der sie verglichen werden kann.“ Blichfeldts Debüt zeigt auf genuin filmische Weise die Beständigkeit destruktiver Mythen, die Verflechtung von Ökonomie und Begehren sowie die tief verinnerlichte Kontrolle, die durch Schönheitsideale vor allem auf Frauen und durch Frauen ausgeübt wird. Es ist ein alter und bis heute wirksamer Trick der Herrschaft, den Beherrschten das Gefühl zu geben, dass sie nicht gut genug sind, dass sie nur besser, fleißiger, schöner, tapferer, hingebungsvoller sein müssten, um innerhalb der Verhältnisse glücklich zu sein. Dadurch richten die Unterdrückten ihren Frust gegen sich selbst und kommen gar nicht auf die Idee, den Prinzen als das zu sehen, was er ist: ein langweiliges, verächtliches und verwöhntes Arschloch, dessen romantischen Gedichte vermutlich auch heimlich von einer unbezahlten Frau geschrieben worden sind.
The Ugly Stepsister: Ab 5. Juni 2025 im Kino, 1 Std. 45 Min., Komödie, Horror, Regie: Emilie Blichfeldt, Drehbuch: Emilie Blichfeldt, Besetzung: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Originaltitel: Den stygge stesøsteren.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]
Berliner-zeitung